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Interview mit Carlo Marchione

 

Das Interview wurde in Bissen (Luxembourg) am Montag, 18. Juni 2001 aufgenommen. Am Interview nahmen Léon Frijns (L.F.), Jean Steffen (J.S.), André Thill (A.T.) und Sergio Tordini (S.T.) teil.

 

L.F.: Carlo, es freut mich dich für die Zeitschrift unseres Gitarrenclubs “Cithara” zu interviewen. Du hast gestern im Rahmen des Gitarrenfestivals in Beckerich in der Kirche ein Konzert gegeben. Kannst du uns etwas erzählen über dich und  über deine Herkunft?

 

Carlo Marchione: Also ich bin gebürtiger Römer, aus Italien, aber da ich eine holländische Frau habe und in Deutschland lebe, fühle ich mich eher als Europäer im Augenblick. Ich habe nach einer Reise nach Spanien angefangen mit Gitarrenunterricht, denn in Spanien ist Gitarre halt wirklich etwas ganz Besonderes. In der Zeit spielte man noch Gitarre auf der Strasse, ganz spontan. Und ich hatte mich in dieses Instrument verliebt und mit zehn Jahren habe ich angefangen den ersten Gitarrenunterricht zu nehmen. Mit meinem ersten Lehrer habe ich  sowohl klassische Gitarre studiert als auch Flamenco. Und das hat mir später sehr geholfen, weil natürlich die Techniken sehr gut auch für das klassische Repertoire verwendbar sind. Ich hab dann später noch bei einem Lehrer studiert, der der Vater meines jetzigen Tonmeisters ist, und dann habe ich an der Hochschule in Roma, im Konservatorio Santa Cecilia fünf Jahre bei Maestro Mario Gangi studiert.

 

Später - auch Dank meiner Frau, die in Den Haag studierte, - habe ich dort als Zuhörer viele Masterklassen von Barockspezialisten gehört. Ich habe schon in der Zeit angefangen mich in diese Musik zu versenken, also die Kenntnis dieser Musik zu vertiefen. Gut, ganz entscheidend war die Begegnung mit Betho Davezac, einem französischen Meister, der mich sehr geprägt hat, insbesonders was die didaktische Seite angeht (Betho Davezac kommt aus Uruguay und lebt in Frankreich, Anm. L.F.). Gut, im Augenblick unterrichte ich an der Hochschule für Theater und Musik “Mendelsohn Bartholdy” in Leipzig und an der Musikakademie  “Ino Mirkovic” in Lovran (Kroatien). Und ich werde, ab September 2002 in Maastricht an der Hochschule eine Gitarrenklasse leiten.

 

A.T.: Kommst du aus einer Musikerfamilie?

 

Amateure. Mein Vater spielte, sehr schlecht, alle Instrumente: Mandoline, Akkordeon, Piano, Violine. Er hat sich als Junge Geld verdient indem er Serenaden vorspielte, also Ständchen. So was gibt es noch in Italien, man wird um drei Uhr in der Nacht wach und hört so eine gewaltige Tenorstimme: mein Gott, was ist denn jetzt?

 

L.F.: Wie kommt es, dass du jetzt in Berlin wohnst und unterrichtest . . .

 

Das ist eine Mischung aus persönlichen und professionellen Gründen. Wie gesagt, meine Frau ist Holländerin und nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte, sind wir nach Italien umgezogen. Wir sind zweieinhalb Jahre da geblieben. Ich habe an der Grundschule Kinder unterrichtet, aber nicht einmal Gitarre, einfach so Musikerziehung. Es war an sich schön, aber man muss sich mal vorstellen, wie anstrengend das ist, dreißig oder fünfunddreißig Kinder unter Kontrolle zu bringen. Und dann nachmittags eine Suite von Bach üben. Gut, ich habe langsam damit aufgehört, habe an der Hochschule unterrichtet als Dozent und ich habe dann mit einem der besten Gitarrentrios Italiens gearbeitet, mit Trio Concentus, aber es war immer noch zu anstrengend. Ich weiß, dass man sich das als Tourist kaum vorstellen kann, aber es ist unheimlich anstrengend in Italien zu leben, in Rom insbesondere. Es gibt schon Meister in Italien, aber keine Ordnung. Die ganze Energie ist schon um zehn Uhr morgens weg, da bist du völlig leer durch Verkehr oder Streiken und ... du bist immer schlecht dran. Es bewegte sich auch nicht so viel in der Konzertszene. Ich wusste eigentlich ganz genau, dass ich etwas drauf hatte und da war einfach nicht der richtige Platz für mich. Gerade in der Zeit hatte ich eine Einladung aus Deutschland bekommen für eine Tournee, und die ging sehr gut. Ein Jahr später haben sie mich gefragt, ob ich vielleicht nach Berlin umziehen möchte. Da hätten sowohl ich als auch meine Frau eine Stelle an der Musikschule bekommen. Einen Monat vor dieser Einladung bekam ich eine Professur in Italien an der Hochschule. Da musste ich mich natürlich entscheiden. Was sollte ich jetzt machen: in Italien bleiben, ökonomisch sicher leben, eine deprimierte Frau ohne Job haben und keine Konzerte mehr spielen, weil sowieso nichts passiert? Ich habe dann die riskantere Variante gewählt. Ich habe mich sozusagen wieder vom Professor zum Maestro degradiert, und ich bin wieder zur Musikschule zurückgekehrt. Das habe ich nie bereut. Es war die richtige Entscheidung. Ich glaube, in vier oder fünf Jahren habe ich in Deutschland eine sehr schöne Karriere aufgebaut. Ich bin den Deutschen unheimlich dankbar, dass sie das erkennen konnten, denn ich habe keinen Manager und ich habe mich nie beworben, ich wurde immer eingeladen. Ja, das ist so zustande gekommen, es war sehr riskant, genauso wie in Maastricht jetzt. Ich habe mich in Deutschland jetzt gut eingelebt, aber Leipzig ist natürlich kein Job für’s Leben.  In Maastricht kann man angeblich ganz gute Sachen machen.

 

S.T.: Welche sind, musikalisch gesehen, deine Pläne für die nähere Zukunft, außer Maastricht?

 

Ich möchte eine CD mit Bearbeitungen von Werken von Ennio Morricone aufnehmen, und ich möchte noch andere Cellosuiten von Bach so bearbeiten, wie ich die zweite gemacht habe.

 

S.T.: Und wie machst du diese Transkriptionen oder Bearbeitungen für Gitarre? Nimmst du die Partitur vom Klavier oder vom Orchester?

 

Für die meisten Bearbeitungen habe ich nur eine Aufnahme. Das ist das sinnvollste bei dieser Musik. Das ist genau das Gleiche, was auch Anner Bijlsma (ein holländischer Cellist, Anm. L.F.) vorschlägt, um ein Cembalostück auf dem Cello zu spielen: anhören und alles aufschreiben, was übrig geblieben ist. Das ist das Wesentliche daran. Ich habe mir die Aufnahmen angehört - die Melodie erkennen wir ja alle. Man könnte schon die Melodien mitschreiben, und so habe ich es ganz einfach gemacht. Bei einigen Aufnahmen habe ich nur die Melodien gehabt. Bei anderen Bearbeitungen hatte ich so eine Riesen-Orchestralpartitur, aber das ist am schlimmsten. Da gibt es so viele Noten, aber eigentlich sind nur zwei Stimmen wichtig.

 

L.F.: In deinem Konzert fiel mir auf, dass du vor der Pause drei Werke aus der Barockzeit gespielt hast, und nach der Pause zwei Werke aus der klassischen Zeit. Kann man daraus schließen, dass deine Hauptarbeit in diesen zwei Stilrichtungen liegt, oder spielst du einfach alles, aber wir haben nur das gehört …

 

Nein, das war reiner Zufall und es hängt immer damit zusammen, in welcher Stimmung ich bin. Ich entscheide immer erst im letzten Augenblick, was ich spiele. Ich glaube, Alvaro Pierri macht es auch so, nicht wahr?  (Alvaro Pierri hat am 19. Mai in Diekirch Abel Carlevaro ersetzt und im letzten Moment sein Programm gewählt, Anm. L.F.) Mein Problem ist, dass ich immer ein Programm zuschicke, das ich dann nicht einhalten kann. Und ich muss dann immer ansagen, was ich spiele. Aber nein, ich arbeite ganz gerne. Ich habe viele Auftragsstücke ......

 

Carlo Domeniconi (Gitarrist und Komponist, Anm. L.F.) hat für mich eine moderne Tangosuite geschrieben und auch der junge Italiener Simone Iannarelli hat wunderschöne Musik geschrieben. Aber das Schönste daran ist, dass auch John Duarte ein Stück für mich geschrieben hat, Abel Carlevaro auch, und immer ohne dass ich das gefragt habe

 

L.F.: Erzähl uns doch bitte über die Instrumente, die du bis jetzt gespielt hast und welches du jetzt spielst.

 

Die erste gute Gitarre war eine Ramirez, das war ein Must in Italien in der Zeit. Dann bin ich zu einer Tacchi umgestiegen, dann habe ich eine Kreul mit Doppelboden gehabt, mit der ich sowohl Schubert als auch Telemann aufgenommen habe. Und jetzt habe ich wieder eine Tacchi.

 

L.F.: Du probierst jetzt wieder eine  neue Saite, einen ganz neuen Typ, den wir bis jetzt noch nicht kennen. Kannst du uns über die Saiten etwas sagen, was hast du vorher probiert, was suchst du im Klang?

 

Ich weiß auch nicht, was ich suche. Ich meine, die Klangvorstellung ändert sich auch im Laufe der Jahre und hängt auch damit zusammen, welche Stücke du spielst. Und ich hab natürlich Unmengen Saiten ausprobiert, alle gemischt, und ich würde nie sagen, die sind die besten. Ich würde sagen, in diesem Augenblick bei diesem Programm passt diese Zusammensetzung am besten. Auch für die Aufnahmen habe ich nie “Carlo Marchione spielt  D’Addario” darauf schreiben können, denn ich habe immer gemischt im Laufe der Aufnahmen, also Saiten gewechselt und ich bin ein sehr chaotischer Mensch in dem Sinn. Aber es ist irgendwie sehr inspirierend, man entdeckt immer etwas an den Saiten.

 

J.S.: Hast du Lampenfieber vor Konzerten?

 

Nein, nie wie man sich das vorstellt. Normalerweise stellt man sich Lampenfieber so vor, dass die Leute am Tag davor Durchfall haben oder in der Nacht schwitzen, und sich am Tag des Konzertes immer einen Nagel abbrechen. Ich bin schon aufgeregt, aber positiv aufgeregt. Man kann es mir glauben oder nicht, aber es macht mir noch immer so viel Spaß und Freude für andere zu spielen. Ich bereite mich darauf vor, aber das Problem ist eben, diese Energie in positive Energie umzuwandeln, und sich nicht einfach dadurch kaputt zu machen.

 

S.T.: Kannst du uns ein wenig erzählen, wo du konzertiert hast und was empfindest du gegenüber dem Publikum? Wie sind die Unterschiede, je nach Land, sozialen Verhältnissen, und den Sälen, in denen du spielst?

 

Das ist eine sehr breite Frage. Ich würde sagen, generell ist das Publikum überall gleich, es hängt immer damit zusammen, wie man spielt. Wenn man gut drauf ist reagiert es mit Begeisterung, oder sonst aber mit ein bisschen mehr Abstand. Ich spiele generell lieber in Kirchen oder in kleinen Sälen, weil dadurch der Charakter der Gitarre behalten wird, denn es ist ein Kammerinstrument, es ist kein Instrument für die Philharmonie, für den großen Saal.

 

 

 

L.F.: Carlo, vielen Dank für das Gespräch!

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